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Schattenwesen

Sonne und Mond I
von

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Unvergesslicher Traum 2/5

Ich saß mit Akirai auf einer Wiese. Der Wind wehte durch mein Haar und trug den süßlichen Duft des Frühlings zu mir. Stille herrschte um uns herum. Keiner sprach. Niemand war zu sehen. Ich war alleine mit meinem Meerschweinchen, das neben mir saß und zufrieden das Gras mümmelte. 

Ich sah zu ihr hinunter und begegnete ihren schwarzen Knopfaugen. Dieser simple Anblick ließ mein Herz leichter werden und ich streichelte sie kurz, was sie zufrieden gurren ließ. Doch als ich noch einmal durch ihr struppiges Fell strich, wurde aus dem so friedlichen Laut ein schrilles Klingeln, dass die Wiese und den Frieden zerriss. 

Blind schlug ich nach dem Wecker auf meinem Nachtkästchen, dort war Widerstand, aber bevor ich den Knopf fang, entglitt er mir schon wieder. Ein dumpfer Aufprall verkündete mir, dass er abgestürzt war und unsanft auf den Boden aufgeschlagen war. Diese Tatsache hinderte ihn aber nicht daran, seine Aufgabe weiter auszuführen und mich mit seinem Klingeln daran zu erinnern, dass es Zeit war aufzustehen.

Nun wurde es auch Akirai zu bunt und sie begann ungeduldig an ihren Gitterstäben zu nagen. Aber ich wollte noch nicht aufstehen. Der Traum war so wunderschön und endlich hatte er nicht mehr von dir gehandelt. Das musste man ausnutzen.

Mit einem Grummeln vergrub ich mich unter mein Kopfkissen, um so zumindest einen Teil des Lärms und das Licht auszublenden. Mein Körper war schwer und es war als hätte ich gar nicht geschlafen, denn meine Lider waren schwer wie Blei. Doch man sollte mich nicht lassen, denn zu den zwei Weckern kam nun auch das Klingeln meines Handys dazu, das mich vehement daran erinnerte, dass ich nun wirklich aufstehen sollte. Jetzt und nicht noch länger warten, denn dann war eine Verspätung vorprogrammiert.

Mit einem Seufzer warf ich das Kissen von mir in Richtung Fußende und erhob mich schließlich um zumindest mit einem schnellen Griff mein Telefon auszuschalten. Mit einem klatschenden Geräusch stellte ich meine Füße auf den Boden ab und streckte mich gähnend, um so vielleicht meinen Körper ein wenig aufzulockern. Es gelang mir nicht. Die Schwere des Schlafes blieb auf meinen Schultern und versuchte, mich zurück ins Bett zu ziehen.

Doch ich ließ es nicht zu und angelte nach meiner Hose und meinen Socken, um sie anzuziehen. Dann streckte ich mich noch einmal ausgiebig beim Aufstehen, um dann schon mein Oberteil auszuziehen. Das dünne, schwarze Shirt landete in meinem Bett und dort war er: Dieser verfluchte Spiegel an der Tür meines Kleiderschranks, für den ich meine Mutter hasste. Ich wollte ihn nicht hier haben, denn jeden Morgen zeigte er mir, wie schwach ich war. Meine dürre Gestalt, die bei jedem Ausatmen meine Rippen offenbarte und all diese hellen Striche auf meinen Unterarmen. 

Narben, die ich mir einst selbst zugefügt hatte, als ich den Wunsch hatte, irgendetwas zu fühlen, und sei es nur Schmerz. Ich strich mit zittrigen Fingern über die kleinen Unebenheiten, die an so viel Leid schuld waren. Wegen ihnen war ich das Gespött der Klasse. Der Gestörte, der sich selbst verletzte. Und auch du würdest mich wegen ihnen auslachen und meiden. Sobald du wusstes, was sich unter diesen schwarzen Netzhandschuhen verbarg, würdest du wieder verschwinden. Da war ich mir sicher. Jeder tat es. Wieso solltest du also anders sein?

Mein Herz zog sich bei dieser Erkenntnis schmerzhaft zusammen und es legte sich eine unbarmherzige Schlinge um meinen Hals, die mir das Schlucken erschwerte. Du durftest diese Narben niemals sehen und dadurch verschwinden. Ich wollte nicht, dass man mich noch einmal für diesen törichten Fehler verurteilte. 

Ruckartig wandte ich mich ab und griff überhastet nach meinem Sonnentop und den Netzhandschuhen, um dann all diese Mängel zu verstecken, dennoch blieb mein Griff, der sich unbarmherzig um meine Unterarme schlang. Sie waren an dem Gelächter meiner Mitschüler und an dem Nervenzusammenbruch meiner Mutter schuld. Ihr einziger Zweck war Leid und den hatten sie weit über mein eigenes Sein hinaus erfüllt. 

Langsam sank ich auf dem Boden und kauerte mich zusammen. Sie sollten verschwinden. Nicht mehr hier sein, wenn ich meine Augen öffnete, doch sie blieben. Dieser Wunsch erfüllte sich nicht. Egal, wie oft ich ihn leise in die Welt flüsterte. Sie nahmen mir alles und auch dich werden sie von meiner Seite reißen. Du wirst dich zu all den anderen gesellen, die lachend und verspottend mit den Finger auf mich zeigten. 

Ja, ich werde auch für dich zu einem Krüppel werden, der nur gestört war. Schließlich verletzte sich doch niemand selbst. Keiner, der bei normalen Verstand war und dennoch war dort dieses Verlangen. Ich wollte den seelischen Schmerz überschatten oder gar umlenken. Diese Leere in meinem Inneren mit etwas füllen. Da war diese Tat das Einzige, was mir einfiel, und es hat seinen Zweck erfüllt. Zu gut.

Ein Wimmern glitt über meine Lippen, als ich tiefer sank und meine Stirn auf dem Boden zum Liegen kam. Ich klammerte mich verzweifelter an mir selbst fest, in der Hoffnung, dass meine Gefühle mich dann nicht hinfort rissen, doch die Gedanken stoppten nicht. Sie werden dich mir wegnehmen und ich werde auch in deinen Augen ein Abtrünniger. Ein Süchtiger, denn nichts anderes war ich. Süchtig nach Schmerzen, um nicht gänzlich abzustumpfen. So oft hatte ich probiert es zu erklären, doch nie hatte mir jemand zugehört. Nur Mutter, doch sie war danach nicht mehr dieselbe. 

Darum musste ich die Narben verstecken. Nie wieder durfte sie jemand sehen. Es bedeutete nur Leid und Ausgrenzung. Keiner kam damit klar. Jeder versagte und zerbrach unter dem Wissen. Keiner blieb bei mir. Sie leugneten es oder verachteten mich. Für welchen Weg wirst du dich entscheiden?

„Hast du die Mathehausaufgabe verstanden? Ich bin mir nicht sicher, ob meine Ergebnisse richtig sind. Können wir es im Klassenzimmer vielleicht vergleichen?“

„Ja, aber ich gebe auch keine Garantie, dass meine korrekt sind.“ 

Die Stimmen rissen mich aus meiner Trance und überschütteten mich mit einer eiskalten Erkenntnis: Ich kam zu spät. 

Ruckartig stand ich auf, schnappte mir meine Tasche, die neben dem Schreibtisch stand, und hastete aus meinem Zimmer. Schnell eilte ich in die Küche, um mir einen Müsliriegel und einen Apfel zu schnappen, bevor die schon fertig hergerichtete Brotzeitbox mit der Trinkflasche zusammen in meiner Umhängetasche landeten. Kurz begutachtete ich mich im Spiegel im Flur und richtete meine Haare notdürftig mit ein paar Fingerstrichen, bevor ich in meine Schuhe schlüpfte. 

Kurz strich ich mit meinem Unterarm über meine Augen, um so die Spuren der Tränen zu vernichten. Diese Schwäche durfte niemals mein Zimmer verlassen. Sie würde nur zu mehr Spott und Ausgrenzung führen. Niemals durfte jemand meiner Klassenkameraden die Scherben in meinem Inneren erblicken und somit schloss ich sie mit dem Schritt über die Schwelle der Wohnungstür wieder tief in mir ein. Kurzerhand griff ich noch nach dem Schlüssel am Brett und steckte ihn in meine Hosentasche, bevor ich die Tür hinter mir ins Schloss zog.

Meine Schultasche, die nur eine schwarze Umhängetasche, mit einem schlafenden, blauen Greifen auf der Tschenklappe, war, schlug unruhig gegen mein Bein. Doch dies gehörte für mich zu meinem Schulweg dazu, wie auch die Gespräche der anderen Schüler, die versetzt zu mir liefen und in dessen Strom ich mich einordnete. 

Ich mochte meine Tasche, denn auch wenn sie klein wirkte, so brachte ich meinen Schulordner und die nötigen Bücher unter. Genauso wie ein Mäppchen für Stifte und andere Utensilien. 

Sie war mein ganzer Stolz, denn sie war ein Geschenk meiner Großmutter gewesen. Leider hatte ich meinen Opa niemals kennen gelernt, da er vor meiner Geburt gestorben war. Auch wenn ich ihn nie kennen lernte, so fehlte er mir in gewissen Situationen schon. Dann, wenn sie über ihn sprachen und ihre Stimmen so warm und sanft waren, dass ich mir wünschte, diesen Menschen kennen gelernt zu haben. 

Mein Herz wurde durch diesen Gedanken schwerer und sofort unterbrach ich sie. Er hätte nicht gewollt, dass ich wegen ihm traurig wäre. Außerdem hatte ich keine Lust von meinen Mitschülern wieder sinnlose Kommentare zu meinen Gefühlen zu bekommen. Darum einfach keine haben, dann musste man sich auch nicht dumm anreden lassen. 

Ein sanfter Wind umspielte mich, als ich schon den ersten von vielen Bissen von meinem Apfel nahm, und versuchte die Schwere, die mich in meinem Zimmer überfallen hatte, mit jedem Schritt ein Stück mehr loszuwerden. Denn in der Schule konnte ich sie nicht gebrauchen. Da brauchte ich meine Kraft für andere Sachen: Für meine Mitschüler und für dich.

Dich. Du würdest wieder dort sein und mich belagern. Alles wissen wollen, aber am Ende doch nur wieder auf unsere Ähnlichkeit zu sprechen kommen. Wie ein kleiner Hund würdest du an meiner Seite bleiben und mir hinter her laufen. Deine Stimme würde um Aufmerksamkeit betteln und alles in mir schrie danach, dass ich dich von mir stieß. Nur dieses leichte Ziehen in meiner Leistengegend widersprach meinem Wunsch. 

Wie sollte ich diesen Tag nur überleben, wenn du mir wieder so nah sein würdest, wie gestern, nur dass heute mein Traum noch real in meinem Nacken saß? Ich wusste nicht, was ich tun sollte, um diesen Tag ohne peinlichen Zwischenfall zu überstehen, doch allzu viel Zeit zum Überlegen blieb mir nicht, denn da tauchte schon das Schultor und mit ihm zusammen auch das Gebäude vor mir auf. 

Dieser Betonblock, der in mir schon lange keine positiven Gefühle weckte, sondern nur eine beklemmende Schwere in meinem Geist warf. Auch jetzt wieder. Doch es waren dort auch zwei neue Gefühle: Einerseits die Nervosität wie ich mit dir umgehen sollte, aber auch, ganz tief unten und am Liebsten von mir ignoriert, diese leichte Vorfreude, die wie Schmetterlinge durch meinen Magen flatterte und mich sogar sanft lächeln ließ. 

Ich nahm den letzten Biss von meinem Apfel, sodass nur noch der Stiel übrig war und warf diesen dann in die Wiese am Wegesrand, um noch einmal meine Schultern zu straffen und mich dieser Herausforderung zu stellen. Umkehren war keine Option mehr. Ich war nun hier und ich würde es überstehen. Auch wenn neben Mitsumi und Timmy auch du dort auf mich wartetest. Du, der mich immer anlächelte und mir nahe sein wollte. Du, der mir Hoffnung schenkte mit seiner Anwesenheit. Du, der mich im Traum heimsuchte und alleine bei der Erinnerung daran, wurde meine Hose unangenehm enger. 

Sofort unterbrach ich sie mit einem wilden Kopfschütteln und atmete tief durch. Ich musste mich beruhigen, sonst würde dieser Tag die reinste Katastrophe werden. Denn du durftest niemals erfahren, wie mein Körper auf dich reagierte. Jetzt akzeptiertest du mich noch, doch was wenn du bemerktest, dass du in mein Fadenkreuz geraten warst? Dann wäre es vorbei und ich wäre erneut alleine. Alleine gegen alle anderen. Auch gegen dich...



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